Messinstrumentenentwicklung und Materialmessung als digitaler Zwilling zur Optimierung der Materialcharakterisierung - Teil 2
18. Aoû 2021

Messinstrumentenentwicklung und Materialmessung als digitaler Zwilling zur Optimierung der Materialcharakterisierung - Teil 2

SPEZIELL FÜR UNSERE ANWENDER


Die genaue Charakterisierung der unterschiedlichen Materialeigenschaften von Kunststoffen, wie z. B. Viskosität, pvT‑Verhalten und mechanische Kenngrößen für die Prozesssimulation des Spritzgießverfahrens, stellen eine erhebliche Herausforderung dar. Um die Charakterisierung von Materialkenngrößen zu optimieren, kann sowohl für die Messgeräte als auch für die Messmethode ein digitaler Zwilling implementiert werden. In Teil 1 unseres Artikels berichteten wir über den „Digitalen Zwilling des Messinstrumentes“. Heute nehmen wir den „Digitalen Zwilling der Materialmessung“ näher ‚unter die Lupe‘ …

Digitaler Zwilling einer Materialmessung
Ein digitaler Zwilling kann abgesehen vom Gerätedesign sowie der Kompensation und Kalibrierung bereits während des Entwicklungsstadiums im Messprozesses eingesetzt werden. Die Scherviskosität ist eine der wichtigsten Materialeigenschaften während der Füllphase im Spritzgießprozess. Diese wird zur Integration in die Simulation in der Regel mit Hilfe eines Kapillarrheometers ermittelt. Durch die Anwendung der entsprechenden Materialmodelle für die Rheologie und das pvT-Verhalten sowie kalorische Eigenschaften der Kunststoffschmelze können die physikalischen Zustände für unterschiedliche Positionen im Gerät (wie Temperatur, Druck, Schergeschwindigkeit und Scherspannung) durch die Analyse von Moldex3D visualisieren und zur Optimierung des Messvorgangs verwendet werden.
In der Regel wird bei der Bestimmung der Viskosität mittels Kapillarrheometer angenommen, dass im betrachteten System überall eine gleichmäßige Temperaturverteilung herrscht. Diese Annahme kann jedoch bei höheren Scherraten und die daraus folgende Temperaturerhöhung, sowohl in radialer als auch in axialer Richtung in der Kapillare, sowie die dadurch hervorgerufene Viskositätsänderung nicht mehr getroffen werden. Vor allem bei amorphen Thermoplasten bewirkt bereits eine Temperaturänderung von 20 °C je nach einwirkender Scherrate eine Viskositätsänderung im Bereich von 40 % bis 150 %. Somit ist ersichtlich, dass die Vernachlässigung der Temperaturerhöhung bei der Messung der Viskosität nicht zulässig ist und zu Messfehlern führt. Obwohl die Viskosität bei sehr hoher Scherrate mit einem Kapillarrheometer oder einem Online-Rheometer an der Spritzgießmaschine gemessen werden kann, nimmt die Zuverlässigkeit der Daten mit zunehmender Scherrate aufgrund des Einflusses der viskosen Erwärmung stark ab.

Die Erfassung der Temperaturverteilung während der Messung mit einem Kapillarrheometer stellt wegen den kleinen Kapillardurchmesser (etwa 0,5‑2 mm) eine messtechnische Herausforderung dar. Zusätzlich müsste die Temperaturmessung nicht nur punktuell erfasst werden, sondern sowohl in radialer als auch axialer Richtung. Abhilfe kann der Einsatz eines digitalen Zwillings der Materialmessung bieten. Der digitale Zwilling der Materialmessung ermöglicht es, die Verteilung von physikalischen Größen an beliebigen Stellen im System zu ermitteln. Somit können die Abweichungen der Eigenschaften zur Korrektur der Daten und Parameter des Modells über einen iterativen Algorithmus verwendet werden, um so die Vorhersagegenauigkeit und Zuverlässigkeit der Prozesssimulation zu verbessern.
Werden z. B. die gemessenen Viskositätskurven ohne Korrektur in die Simulation einpflegt, deckt sich die Druckvorhersage zwar bei niedrigen Scherraten sehr gut mit den Messdaten ab. Bei hohen Scherraten jedoch wird bedingt durch die Schererwärmung und die daraus resultierende niedrigere Viskosität die Druckvorhersage erheblich unterschätzt. Nach der Einarbeitung der mittels digitalen Materialzwilling ermittelte Korrektur stimmen die Druckvorhersagen auch bei hohen Scherraten viel besser mit der Messung überein.

Der digitale Materialzwilling kann zur Bewertung der Veränderung von Materialeigenschaften wie Viskosität, pvT‑Verhalten, spezifische Wärmekapazität, Wärmeleitfähigkeit, etc., sowie der Bewertung der Zustandsänderungen wie z. B. Druck, thermische Spannung und Temperaturverteilung, während des Materialmessvorgangs eingesetzt werden. Darüber hinaus kann das vollständige digitale Zwillingsmodell mit der Berücksichtigung der einzelnen Komponenten des Messgeräts und des Messvorgangs nicht nur zur Korrektur und Verbesserung der Messdaten verwendet werden, sondern auch als leistungsfähiges Werkzeug für die Materialentwicklung und -messung sowie für die Entwicklung von Messinstrumenten.
 

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